Wie ich euch geliebt habe,
so sollt auch ihr einander lieben.

4. Sonntag in der Osterzeit Lesejahr C





+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Joh 13, 31-33a.34-35)
In jener Zeit
als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht.
Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen.
Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch.
Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.











Liebe Schwestern und liebe Brüder,
Christchurch Attentat, Neuseeland, 50 Menschen sterben, Ostersonntag Sri Lanka 253 Tote durch Anschläge, 41 Tote bei einem Flugzeugabsturz in Moskau im Mai, die Pariser Kathedrale Notre Dame brennt kurz vor Ostern, Artensterben, der Fortbestand der Welt und damit unsere eigene Existenz und die unserer Kinder ist massiv bedroht. Und dann noch all das persönliche Leid, Probleme in der Familie, mit der Gesundheit, am Arbeitsplatz, Freunde sterben, unheilbare Krankheiten in der Nachbarschaft, Armut, Arbeitslosigkeit, Flüchtlinge, und noch so viel mehr.

Da darf man nicht nur, da muss man die Frage in den Raum werfen: „Wie kann Gott das zulassen?“ Dabei haben wir doch gerade im Evangelium den Satz Jesu gehört: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Wie aber kann Gott es dann zulassen, dass soviel Böses in der Welt geschieht und immer wieder geschieht? Was ist das für eine Liebe, von der Jesus eben im Evangelium gesprochen hat, als er sagte: „Dies ist mein Gebot: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Ist das ein liebender Gott, der uns in Elend und Leid leben lässt und sich selber dabei versteckt und zuschaut? Oder ist das reiner Sarkasmus (σαρκάζειν), ein Zerfleischen? Ist Gott sarkastisch? Oder sogar noch schlimmer, ist es Zynismus, ein aggressives Hundegebell? Ist Gott ein Zyniker? Das heutige Evangelium schreit mich geradezu an, mir Gedanken um Liebe zu machen und hier besonders um die Liebe Gottes. Was ist das für eine Liebe, die soviel Elend und Leid zulässt? Und was ist das für ein Gott, dieser „liebe“ Gott? Und wenn wir uns die Liebe Gottes ansehen, müssen wir uns dann nicht viel mehr das uns umgebende Leid ansehen? „Wie kann Gott all das Leid zulassen?“ Liebe Brüder und liebe Schwestern, und um eins vorweg zu nehmen, ich weiß es auch nicht! Aber das möchte ich heute mit Ihnen machen, ich möchte die Theodizeefrage in den Raum stellen, also Gott vor den Gerichtshof der Vernunft stellen und mir mit ihnen(!) die Liebe und das Leid ansehen. Weil Jesus heute gesagt hat: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“

Die einen versuchen, das Leid mit der Freiheit zu erklären. Dadurch das Gott uns aus unendlicher Liebe auch unendliche Freiheit lässt, entsteht das Leid. Wenn jemand seine Freiheit für sich nutzt, kann daraus ein Schaden und dadurch ein Leid für einen anderen entstehen. Damit ist die Verantwortung beim Menschen, Gott ist aus der Verantwortung raus gezogen, weil es der Mensch ist, der seine Freiheit nutzt. Und dennoch muss man Gott dann anklagend zurufen: „Du, Gott, hast diese Freiheit geschaffen, wie du alles andere geschaffen hast. Warum ist deine Freiheit so ungerecht und Leid schaffend? ->Du<- bist es, Gott, als Schöpfer dieser Freiheit, der dafür verantwortlich ist!“ – Aber was ist dann mit den Naturkatastrophen, und da gibt es ja auch noch welche, an denen der Mensch keine Schuld trägt, wie beispielsweise Erdbeben? Wie ist das mit unserer Freiheit zu erklären?

Andere sagen, am Leid wachsen wir. Ja, das klingt plausibel. An unserem Leid reifen wir und treten in die direkte Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus, der gesagt hat: „Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Die Liebe Gottes lässt das Leid zu, weil wir dadurch reifen. Durch das Leid werden wir Mensch und kommen Gott näher. Das ist sicher eine ganz tiefe Wahrheit. – Karl Rahner führt aber an dieser Stelle die durch Napalmbomben verbrannten und getöteten Kinder in Vietnam an, sind diese Kinder auch an ihrem Leid gewachsen und gereift? Und was ist mit sechs Millionen Juden, die in den KZs der Nationalsozialisten ermordet wurden? Und auch hier muss man doch Gott anklagen und rufen: „Das, Gott, ist doch kein humaner Reifungsprozess mehr, das hat doch nichts mehr mit Liebe zu tun! Dein Leid zur Reifung ist zu groß!“

Wieder andere sagen, das Leid ist nötig, um in den Himmel zu kommen und ewig zu leben. Erst die Sünde des Menschen hat den Tod ermöglicht, so wissen wir es aus der Schöpfungsgeschichte, als Adam und Eva verbotener Weise die Frucht vom Baum der Erkenntnis aßen. Und diese Sünde muss gesühnt werden, durch das Leid auf Erden. – Aber, die Erinnerung ist doch auch noch im Himmel vorhanden und was ist das für ein Himmel, in dem man, wie Rahner sagt, „selig an die Qual der Geschichte denken kann?“ Auch hier wieder kann man Gott nur zurufen: „Gott, was ist das für eine Liebe, die den Weg zu dir nur durch unendliches Leid ermöglicht; Gott, wie liebst du?“

Liebe Schwestern und liebe Brüder, noch viel mehr Möglichkeiten gibt es, das Leid zu begründen und zu versuchen, die Liebe Gottes zu erklären. Und in sehr vielen dieser Erklärungsmodelle steckt sehr viel Wahres und Richtiges. Und selbst wenn sie aus jedem Modell nur etwas nehmen, es wird immer wieder einen Anklagepunkt geben, sie werden es immer wieder schaffen, Gott vor den Gerichtshof der Vernunft zu stellen. Vielleicht merken sie aber auch schon, worauf ich hinaus will: Wenn wir Gott anklagen und vor den Gerichtshof der Vernunft stellen, dann ist das töricht. Das einzige Ergebnis, das es bringen kann, ist Atheismus. Stelle ich Gott vor den Gerichtshof der Vernunft und bohre, verlange ich nach einer Antwort, dann führt das in den Unglauben, dann verliere ich Gott. Die drängenden Fragen, die nach Liebe und Leid, werde ich, so bin ich mir sicher, aber nie beantwortet bekommen.

Das Leid, liebe Brüder und Schwestern, ist so unbegreiflich wie Gott selber. Und damit ist auch die Liebe Gottes so unbegreiflich, wie Gott es ist. Um an dem Satz Jesu „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ nicht wahnsinnig zu werden, muss man ihn im Glauben hinnehmen und annehmen. Gott ist eben ein unbegreifliches Geheimnis das nur in Liebe erträglich ist. Liebe Schwestern und liebe Brüder, es braucht eine Liebe, die Gott bejaht, ihn so hinnimmt, wie er ist, nämlich unbegreiflich, unendlich, unfassbar, unvorstellbar, unerklärbar. Es braucht so eine Liebe, weil außerhalb dieser Liebe nur der Protest ist, nur das Stellen Gottes vor den Gerichtshof der Vernunft. Außerhalb dieser Liebe ist nur der wahnsinnige Protest, nicht selber Gott zu sein. Außerhalb dieser Liebe ist nur die größte Sünde, ist nur der Hochmut. Gott, der Schöpfer, ist aber ein unbegreifliches und unendliches Geheimnis. Ein Geheimnis, dass sich nicht rechtfertigen muss. Ein Geheimnis aber, dass sich in Jesus Christus, der wahrer Mensch und wahrer Gott ist, offenbart hat.

Übrigens, liebe Schwestern und liebe Brüder, ist der andere Ansatz, nur vom „lieben Gott“ zu sprechen und Jesus auf Bruder und Freund zu reduzieren, ein gleicher Weg in den Atheismus. Wenn ich Gott auf „lieb“ reduziere, wenn ich nur noch vom „lieben Gott“ spreche, widerspreche ich der Realität und dem, was ich erlebe und beraube Gott all seiner anderen Attribute. Gott ist weit mehr als nur lieb, aus meiner Sicht ist er viel mehr ein fordernder Gott. Und auch das Attribut fordernd ist zu wenig, um nur ansatzweise Gott Eigenschaften zuzusprechen. Gott ist für uns Menschen vor allem eins: Ein unbegreifliches Geheimnis! Ein unbegreifliches Geheimnis, dass wir in Liebe annehmen dürfen; und das ist die Lösung für das Problem: Sich selber in der Unbegreiflichkeit Gottes zu verlieren und alles anzunehmen, was Gott erdacht hat. Genauso wie Don Camillo Jesus zitiert hat als er sagte: „Herr, dein Wille geschehe und nicht meiner.“ Sich selber hinzugeben um dann in der Unbegreiflichkeit Gottes frei und selig zu werden. Diese Liebe zu Gott will von uns geübt und erlernt werden, durch das Gebet zu Gott, durch Zuwendung zu Gott, durch das Gespräch mit Gott.

Die Liebe Gottes hat mit der Forderung nach der Reifung des Menschen zu tun, sie hat auch sehr viel mit Freiheit zu tun. Gott liebt den Menschen und schenkt ihm eine immense Freiheit, eine Freiheit, die es einem jeden von uns sogar ermöglicht, frei den Ort zu wählen, an dem ein jeder seine Ewigkeit verbringen wird. Das ist eine unvorstellbare Liebe. Damit macht Gott sich klein und erhöht den Menschen. Und das hat auch etwas mit der Liebe zu tun, die Jesus von uns fordert, wenn er sagt: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Es ist eine Liebe, die dem anderen auch die Freiheit der Entscheidung lässt und ihn dennoch so annimmt, wie er ist. Es ist eine durch und durch besitzlose Liebe, eine Liebe, die einen selber radikal und selbstlos aus dem Zentrum heraus nimmt und den Anderen hineinstellt! Es ist eben eine unbegreifliche Liebe.

Liebe Brüder und liebe Schwestern, in kleinen Schritten kann man sich dieser Liebe nähern; ich übe sie immer wieder, wenn ich zum Beispiel im Auto fahre und vor mir so einen habe, der aus meiner Sicht das Autofahren lieber sein lassen sollte. Und sehr oft, immer gelingt es mir leider noch lange nicht, wenn ich dann kurz vor dem beleidigenden Kraftwort stehe, dass ich dann raus schreien möchte, mahne ich mich zur Ruhe und sage mir: „Gott liebt den da vor mir genauso, wie er mich liebt...“ Das, so denke ich, meint Jesus wenn er sagt: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“







Gott, wie kannst du das zulassen?

Als Rahnerianer kann man mich wirklich nicht bezeichnen, zu sperrig und anstrengend finde ich viele von Karl Rahners Texten. Dennoch gibt es auch von dem bedeutenden Theologen Karl Rahner immer wieder Arbeiten, die ich zu lesen anfange und erst wieder aus der Hand lege, wenn ich sie durchgelesen habe (und das kann bei Rahner öfter mal sehr lange dauern...). Ein solches Werk von ihm ist der Artikel „Warum lässt Gott uns leiden?“ Ich habe den Artikel erst vor kurzem bekommen und war sehr angetan davon. Rahner betrachtet, wie ich es in der Predigt nachzuvollziehen versuche, die verschiedenen Gedankengänge, die Menschen immer wieder hatten, (haben und haben werden,) um das Leid in dieser Welt zu erklären. Dabei kommt aber immer wieder das gleiche raus, Gott wird vor den Gerichtshof der Vernunft gestellt und angeklagt, das Geschöpf klagt seinen Schöpfer an, der Geschaffene stellt sich vor den ungeschaffen Schaffenden und schreit; allein dieses Bild birgt eine unbeschreibliche Lächerlichkeit in sich und verbietet zugleich auch nur den Ansatz eines Lachens – denn es ist Realität, harte Realität: Jede abwertende Gesichtsregung wäre ein Schlag in das Gesicht eines suchenden Menschen, wäre ein Schlag in das Gesicht ganz vieler Menschen, wenn nicht sogar in das Gesicht der Menschheit! Denn – seinen wir ehrlich, wer von uns hat noch nie die Frage gestellt: „Gott, wie kannst du das zulassen?“


Meine Motivation zu dieser Predigt

In meinem Bekanntenkreis habe ich mehrere Menschen, die der Kirche inzwischen den Rücken gekehrt haben und einige, die auf dem Weg dazu sind. Auf die Frage nach dem Warum beginnt meist ein langes Gespräch und irgendwann kommt auch die Theodizeefrage. Viele dieser Bekannten suchen Gott immer noch, berichten mir aber, dass sie von der Kirche nichts mehr erwarten. Ich habe sehr stark das Gefühl, dass das Stellen Gottes vor den Gerichtshof der Vernunft oft Gründe hat, mit denen wir eigentlich umgehen können. Ich glaube, die Kirche trägt einen Anteil und ist verantwortlich für so manchen Prozess, der Gott dort gemacht werden soll. (Über den Begriff Kirche und meiner Vorstellung davon werde ich später noch schreiben, auch werde ich meine Sicht noch begründen.) Die Kirche war lange verantwortlich für eine Zunahme der Prozesse vor dem Gerichtshof der Vernunft und – da es keine Antworten gab und die Menschen sich, manchmal recht verzweifelt, in den Agnostizismus stürzten, ist die Kirche auch heute noch mitverantwortlich für den bestehenden und zunehmenden Glaubensverlust. Ich bin ganz sicher, wir können da noch ganz viel retten und damit möchte ich mich heute auseinandersetzen. Ein Gespräch mit einem mir lieben Kirchgänger, der genau von solch einem Entfremdungsprozess in seiner Familie berichtete, war dann auch der Grund für meine Predigt. Wir können etwas tun: Zwar werden wir sehr viele der gegangenen Menschen nicht mehr erreichen, aber wir werden Menschen halten und wieder begeistern und neue hinzugewinnen können.


Seicht-katholische Zuckerwatte

Gott ist vor dem Gerichtshof der Vernunft wahrscheinlich nur ein Stellvertreter, Gott steht dort, weil Menschen versagt haben. Und ich bin der ganz festen Überzeugung, dass die Kirche die Menschen mit bunten Pfarrgemeindefesten, Zukunftsbildern und Gratisbier, mit einem Kuschelgott und Wohlfühlbotschaften nicht mehr erreichen wird. Und die Kirche läuft mit all ihren Event-Veranstaltungen Gefahr, sich das Bild einer weltlich-humanistischen Organisation aufzubauen: Ich wurde vor zwei Jahren gebeten, bei einem ökumenischen Gottesdienst in einer Wattenscheider evangelischen Kirche die Predigt zu halten. Ich hielt sie, so wie ich meine Predigten immer halte. Danach kam die evangelische Pfarrerin strahlend zu mir, legte mir den Arm auf die Schulter und sagte (und tatsächlich sagte sie es mit diesen Worten!): „Vielen Dank, Herr Diakon, für diese schöne Predigt. Ich hatte wieder mit der üblichen seicht-katholischen Zuckerwatte gerechnet.“


Acht Minuten

Theodizee und Anklage, Zweifel, Angst und Gottverlust sind für manche Menschen schmerzliche Realität, wie ich auch aus verschiedenen Seelsorge-Gesprächen inzwischen weiß. Und ich wage mich mit meiner Predigt an ein großes Thema, dass ich da in acht Minuten behandle, weil ich es für immens wichtig halte. Mit meinen Predigten kann ich nicht viel mehr machen, als zu versuchen, Menschen zum Denken zu bringen. Und – so weiß ich aus manchem Gespräch – bei manchem ist es mir gelungen, Fragen aufzuwerfen. Mit einer Predigt möchte ich nie den Zeigefinger erheben und anklagen, mit einer Predigt möchte ich nie ein schlechtes Gefühl erzeugen, obwohl manche Themen doch recht heftig sind, mit einer Predigt möchte ich nur zum Denken anregen, zum Denken mit offenem Ergebnis. Das offene Ergebnis ist übrigens sehr spannend, manche Erkenntnis eines anderen Menschen hat mich in meinem Denken schon sehr oft weiter gebracht und mein Denken dadurch in neue Bahnen gelenkt.


...und Gott antwortet nicht

Menschen denken über ihr Sein und ihre Situation nach, haben Leid und Ungerechtigkeit erlebt, stellen sich die Sinn-Frage, haben das vermittelte Bild eines barmherzigen und liebenden, also eines „lieben Gottes“ im Kopf, überdenken ihr Gelerntes, analysieren, und stellen erste Fragen, zaghafte Fragen. Manche (wahrscheinlich darf man hier das Wort „manche“ durch „viele“ ersetzen) Menschen wollen an Gott glauben und stellen Gott ihre ersten Fragen, aber Gott antwortet nicht. Sie wollen eine Erklärung haben, denn zu viel scheint da falsch zu sein. Die Menschen fangen an, ihre Fragen lauter zu stellen, aber auch da antwortet Gott nicht. Die Fragen werden fordernder, sie wandeln sich zu Klagen – aber Gott antwortet nicht. Und auch die Klagen werden lauter, werden zum Schreien, werden zur Anklage, Gott wird angeklagt. Gott wird vor den „Gerichtshof der Vernunft“ gestellt und die Theodizeefrage wird aufgeworfen: „Gott, wie kannst Du das zulassen!“ ...und Gott antwortet nicht. Es scheint, als verstecke sich Gott, als schaue er zu, aber er antwortet nicht.


Der Gerichtshof der Vernunft

„Gerichtshof der Vernunft“, das ist genau der richtige Name. Gott wird vor den „Gerichtshof der Vernunft“ gestellt. Denn die Anklage resultiert aus „vernünftigen“ Überlegungen. Von der Logik her ist da nichts falsch. Ein paar dieser Überlegungen habe ich in meiner Predigt aufgezeigt und es steckt in jeder der Überlegungen sehr viel Wahres und Richtiges, wie ich auch versuchte zu betonen:


Und viele weitere und vernünftige Überlegungen könnten hier kommen. Überlegungen, von denen man nur sagen kann, dass sie logisch und richtig sind. Mit ganz vielen anderen Ansätzen könnte man versuchen, Gott zu erklären und zu verstehen... – Haben Sie diesen Satz gerade gelesen: „Gott zu erklären und ...?“ Das Geschöpf will den Schöpfer erklären? Das ist übermütig, das ist doch die Hochform der Superbia, das ist reiner Hochmut und die Mutter aller Sünden. Aber dazu später mehr.


Wie konnte es so kommen?

Mich interessiert als nächstes die Frage, wie es zu so einer Entwicklung gekommen sein könnte, wie es dazu gekommen sein könnte, Gott vor den Gerichtshof der Vernunft zu stellen. In meiner Predigt gehe ich sehr schnell darauf ein, in diesen Gedanken kommt nun aber erst mal ein Exkurs. Nein, ich möchte hier keine geschichtliche Betrachtung starten und mich mit Aufklärung, Kant und Hegel und anderen auseinander setzen. Mich interessiert die persönliche Glaubensgeschichte eines Menschen, die Richtung seiner Entwicklung im Glauben. Mich interessiert die Frage nach der Verantwortung in unseren Tagen. Können wir eine Schuldfrage stellen? Immerhin birgt das Aufdecken einer Schuld die Möglichkeit der Veränderung. Können wir Menschen hier helfen? Welche Möglichkeiten zur Hilfe gibt es? Hat die Kirche, (hier) vertreten durch ihre Mitarbeiter, einen Anteil an einer Entwicklung weg von Gott? Was für ein Gottesbild transportiert die Kirche? Hat die Kirche die Menschen allein gelassen, ist sie vor den Fragen der Menschen weg gerannt? Waren die Fragen zu kompliziert? Muss die Kirche sich ändern, und wenn ja, wie?


Die Kirche ist heilig

Mir ist es ganz wichtig, an dieser Stelle (mal wieder) zu differenzieren zwischen der Kirche Jesu Christi und der Kirche, die durch Menschen vertreten wird. Und, das ist mir ganz wichtig an dieser Stelle festzustellen: Viele Menschen in unserer Kirche leisten Großartiges! Die Kirche Jesu Christi ist heilig, ist unser Heil, sie wird ewig sein und „die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“(Mt 16,18). Die Kirche, die durch den Menschen vertreten ist, ist aber manchmal eine Kirche, in der Jesus Christus durchaus einmal Tische umwerfen und das Geld der Wechsler verschütten könnte (wie es alle vier(!) Evangelien von der Tempelreinigung berichten), weil der Mensch die Kirche des Herrn verunreinigt, besudelt und entheiligt; wer jetzt widerspricht sei nur an den Missbrauchsskandal erinnert. Die Kirche unseres Herrn Jesus Chirstus mit Maria als Mutter muss sich nie ändern, ändern muss sich, was der Mensch daraus gemacht hat und weiterhin versucht zu machen. Oder, um es mit Worten von Mutter Theresa zu sagen, als ihr die Frage gestellt wurde, was sich in unserer Kirche ändern muss: „Du und ich!“


Kirche braucht Erneuerung

Was hier auf dieser Seite steht, sind die Gedanken eines Diakons. Ich habe zu den Themen gelesen und ich habe mir aufgrund meiner Beobachtungen, besonders nach meiner Weihe, meine Gedanken gemacht. Es ist meine Sicht, die ich beschreibe, es ist nur meine Sicht. Ob ich mit meinen Gedanken richtig liege, weiß ich nicht. Habe ich kirchenschädliches hier geschrieben, werde ich dereinst vor Gott dafür Rechenschaft ablegen müssen. Und dennoch schreibe ich hier darüber. Ich schreibe darüber, weil unser Essener Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck gesagt hat, dass es bei der Neuaufstellung der Kirche keine Denkverbote mehr geben darf, weil es eine Zeitenwende ist, weil die Kirche eine ernsthafte Erneuerung braucht.


Kirche muss auf den Menschen zugehen

Kirche muss sich dem Menschen zuwenden; eine sehr schmerzhafte Erfahrung für mich war es, als alte Menschen kurz nach meiner Weihe in meiner neuen Einsatzpfarrei auf mich zukamen und mir sagten, sie hätten ihre Heimat in der Kirche verloren. Nach meinen ersten Taufen wurde es noch drastischer, als mir auch junge Eltern ähnliches äußerten und sagten, sie hätten nie Heimat in der Kirche gefunden. Das hat weh getan! Es sind Worte über eine „satte Kirche“ gefallen, es sind Worte über eine Kirche gefallen, die sich nur noch um sich selber dreht, es sind Worte gefallen über eine Kirche, die nichts mitbekommt. Und diese Worte sind auch von alten Menschen gesprochen worden. Bekommt die Kirche hier nichts mit? Ist die Kirche zu satt? Dreht sich Kirche zu sehr um sich selber und vernachlässigt den Menschen? Manchen scheint es so. Und die Frage ist berechtigt: Wie soll der Mensch lernen, mit seinen Fragen umzugehen, wenn er alleine gelassen wird? Wenn er keinen Ansprechpartner findet? Wenn niemand kommt? Dann stellt sich die Theodizeefrage irgendwann ganz von selber, dann kommt die Anklage.


Kirche darf Gott nicht verlieren

Kirche muss zurück zu ihrer Mission. Hier muss man sich die Frage stellen, was ist die Sendung der Kirche. Ich stelle diese Frage an dieser Stelle, weil ich glaube, hier gibt es ganz verschiedene Ansichten. Bei einem Treffen der Essener Diakone hatte ich ein Gespräch mit einem Mitbruder, in dessen Verlauf er mir sagte, er sei Diakon, damit es den Menschen gut gehe. Als er mich fragte, warum ich Diakon wäre, fragte ich erst mal zurück, wo es den Menschen gut gehen solle. Mit dieser Frage konnte mein Mitbruder nicht viel anfangen und so musste ich bohren, um eine Antwort zu bekommen: „Na hier auf Erden eben soll es den Menschen gut gehen, im Himmel geht es ihnen doch sowieso gut“ war dann seine Antwort. Zwei Punkte befremdeten mich an dieser Äußerung, es war zum einen die angenommene Heilsgewissheit und zum anderen die Reduktion des diakonalen Weiheamtes auf einen kirchlichen Sozialarbeiter, aber auf das letztere will ich hier nicht eingehen. Ich fragte meinen Mitbruder dann, warum der „liebe Gott“ uns dann auf dieser Erde ins Leben kommen lies, wenn doch sowieso alle später in den Himmel kommen. Warum lässt Gott uns dann nicht gleich im Paradies das Leben beginnen? (Das könnte man übrigens in der Genesis nachlesen...) Mein Mitbruder fragte nun nochmals bei mir und erhielt, angelehnt an seine Aussage eine andere Antwort: „Ich sehe meine Weihe als Auftrag dafür zu sorgen, dass die Menschen zu Gott kommen können und es ihnen dann gut gehen wird.“ Natürlich sehe ich meine Aufgabe als Diakon sehr vielschichtig, natürlich muss ich mich auch um das Wohl der Menschen hier auf Erden kümmern; wer Hunger hat muss zuerst was Essen – basta (oder besser Pasta)! Das ministrare mensis ist eben die Aufgabe des Diakons und da geht es nicht nur um den Dienst am Tisch des Wortes, da ist natürlich auch jede andere Hilfestellung mit gemeint, so wie eben jeder Christ aufgefordert ist zu Werken der Nächstenliebe; diese müssen also eine Selbstverständlichkeit sein. Offensichtlich sind hier zwei Meinungen aufeinander gestoßen, was die Aufgabe sein soll.


Wahrer Mensch und wahrer Gott

Das Christentum ist christozentrisch, es trägt den Namen unseres Herrn Jesus Christus, es ist eben das Christentum und stellt Jesus Christus in seine Mitte. Jesus Christus ist unser Heil und unsere Hoffnung: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“(Joh 14,6), so sagt Jesus. Dieser Satz unseres Herrn Jesus Christus verdient eine ganz eigene Betrachtung, die ich an dieser Stelle nicht leisten kann aber auf jeden Fall nachholen werde. Das Christentum ist christozentrisch und es ist eine elementare Aussage unseres Glaubensbekenntnisses, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Ist dadurch das Christentum sowohl anthropo- als auch theozentrisch? Bedeutet christozentrisch sogleich, dass das Christentum theozentrisch und anthropozentrisch ist? Ich denke, bei der Beantwortung dieser Frage muss eine Ballance gehalten werden auf einer Waage, in deren einer Schale das Theozentrische und in deren anderen Schale das Anthropozentrische liegt. Und zuvor muss dringend geschaut werden, wie welcher der beiden Begriffe mit Leben gefüllt werden kann, also auch, wie das Größenverhältnis der beiden Waagschalen ist. Ich hab ein in meiner Predigt auf beide Schalen hingewiesen, auf die anthropozentrische, in dem ich von der selbstlosen Liebe gesprochen habe, die wir einüben sollen und die einen selber aus dem Mittelpunkt heraus nimmt und den anderen Menschen hineinstellt; und auf die theozentrische durch die Forderung, sich Gott im Gebet zuzuwenden und ihn als allmächtigen Schöpfer anzunehmen, zu verehren und anzubeten. Wenn das Christentum sowohl theozentrisch als auch anthropozentrisch in dem obigen Sinne ist, dann ist der Anspruch an uns Christen gewaltig erhöht und wir müssen auffordern, stärker über uns und unser Christentum nachzudenken, anstatt, wie es manchmal scheint, das Theozentrische wegzupacken und die Schale des Anthropozentrischen zu Überfrachten.


Ein weiterer kleiner Exkurs

Es ist interessant und wichtig, einmal eine andere Perspektive einzunehmen und die theozentrische und die anthropozentrische Bedeutung des Christentums anders zu beleuchten. So denke ich, dass Gott den Menschen auf jeden Fall in das Zentrum seiner Sicht gestellt hat, wenn er seinen geliebten Sohn für die Menschen opfert und den Menschen mit Liebe und Barmherzigkeit begegnet. Seine Position ist also anthropozentrisch. Der Mensch dagegen sollte Gott in den Mittelpunkt seiner Existenz stellen, seine Perspektive hat also eine theozentrische zu sein. So jedenfalls verstehe ich das Christentum und meinen Glauben.


Zurück zum Thema

Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, den hohen Anspruch, den das in sich birgt, haben wir eben gesehen. Aber Jesus fordert noch mehr, er fordert die Gottes- und die Nächstenliebe, er fordert auch noch die Feindesliebe und insgesamt auch die Eigenliebe. Mit den letzteren beiden werde ich mich sicher ein andermal befassen, jetzt soll es nur um die Gottes- und die Nächstenliebe gehen. Und bei der Nächstenliebe möchte ich den Blick allgemein auf die Menschenliebe werfen und den anthropozentrischen Aspekt in den Raum stellen. Jesus wurde von einem Gesetzeslehrer, der ihn versuchen wollte, gefragt, welches Gebot im Gesetz das wichtigste sei und antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“(Mt 22,36) Jesus nennt zuerst die Gottesliebe als Gebot im Gesetz und betont, dass dies das erste und wichtigste Gebot sei. Dann schiebt er aber sofort hinterher, dass die Nächstenliebe ebenso wichtig sei (und übrigens der Eigenliebe bedarf(!)), aber dennoch erst auf Platz zwei kommt. Eine Aussage, die mich schon immer sehr denkend gemacht hat. Die Gottesliebe ist das Wichtigste und danach auf Platz zwei folgt die Nächstenliebe, die aber genauso wichtig ist. Gott steht damit für mich etwas mehr im Zentum als der Mensch, der aber genauso wichtig ist. Eine starke Spannung!


Gott nur ein „lieber Onkel“?

Mein oben erwähnter Mitbruder hat vielleicht eine zu anthropozentrische Sicht. Ich weiß nicht, ob er Jesus auf „Bruder und Freund“ reduziert und, böse gesagt, den „lieben Gott“ einen netten Onkel sein lässt. Ich weiß aber, dass so etwas geschieht, immer wieder, ich habe es leider schon oft in hl. Messen, Gottesdiensten und Predigten erlebt. Und hier liegt die schon angesprochene Gefahr, dass dies in einem unübersehbaren Widerspruch zu dem steht, was ein jeder Mensch um sich herum erleben kann. Wenn wir Jesus auf „Bruder und Freund“ reduzieren, dann kann dieser Jesus sich neben uns setzen, uns den Arm um die Schulter legen und mit uns mitleiden, aber kann er uns dann noch wirklich helfen? (vgl. J.B. Metz: „Memoria passionis“) Ist Jesus dann noch interessant? Wenn wir den göttlichen Anteil Jesu verkleinern und vielleicht sogar nach und nach ausschleichen lassen, was kann Jesus dann noch für uns tun? Und warum machen wir das? Warum stellen manche Menschen der Kirche den menschlichen Anteil Jesu in den Vordergrund und reduzieren ihn auf einen großen Führer? Weil wir Angst davor haben, den Menschen mit drastischen Worten zur Umkehr aufzurufen? Weil wir Angst davor haben, durch unliebsame Botschaften selber unliebsam zu werden? Weil wir uns nicht mit erhobenem Zeigefinger vor andere Menschen stellen und diese maßregeln wollen? Aber würden wir mit erhobenem Zeigefinger maßregeln, wenn wir unliebsame Botschaften und Umkehraufrufe aussprechen würden? Würden wir uns dann wirklich „klerikal erhöht“ vor andere Menschen stellen? Oder kommt es auf die Art an, wie wir das machen sollten – und darauf möchte ich später noch eingehen. Zurück zum Thema: Wenn Gott aber nur noch der „liebe Gott“ ist, dann wirft das noch viel mehr Fragen nach einem Warum auf: „Warum, oh Gott, warum lässt du das zu?“ Ein „lieber Gott“ muss doch dafür Sorge tragen, dass es uns immer und rundum gut geht.


Abfall vom Glauben

Ich glaube, die Kirche trägt eine hohe Verantwortung und ist mitbeteiligt daran, dass Menschen (unter anderem!) die Theodizeefrage stellen und sich von Kirche und manchmal auch von Gott entfernen. Papa emeritus Benedetto XVI hat sich letztens noch einmal gemeldet und im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal den Glaubensabfall in den Raum gestellt, nicht nur als Papst im Amt hatte er öfter eine Entweltlichung der Kirche gefordet und den Relativismus angeklagt. Aus meiner Sicht sind das elementare Punkte, die er da angesprochen hat. Wie stark ist der Glaubensabfall in den eigenen Reihen, wenn es sogar zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen kommen konnte und wahrscheinlich immer noch kommt? Natürlich weiß ich, dass hier die heißen Diskussionen im Gang sind über den Grund des Missbrauchs. Thematisiert wird Homosexualität, weil es doch so viele männliche Opfer gibt, thematisiert wird sexuelle Unreife, thematisiert wird Zölibat, thematisiert wird Klerikalismus, thematisiert wird vieles. Für mich ist aber der Glaubensabfall ein ganz großes Thema in der Kirche und auch ein Verantwortungsträger für den Missbrauchsskandal. Ich glaube, ein Mensch der Gott fürchtet und betet, verhält sich anders, wie ganz viele Kleriker in unserer Kirche uns immer wieder beweisen.


Gott ist unerträgliche Spannung

Welches Gottesbild muss die Kirche dann transportieren? Das ist eine Frage, die immer wieder, manchmal zwischen den Zeilen und manchmal sehr direkt angesprochen wird. Wir haben doch schon gesehen, dass ein nur „lieber Gott“ genauso Probleme bringt, wie ein strenger Gott auf Ablehnung stoßen würde. Unser Gott ist ein liebender und barmherziger Gott und so sollen wir auch sein! Ich weise immer wieder gerne auf die Spannung hin, die unser katholischer Glaube in sich trägt. Es ist eine manchmal unaushaltbare Spannung. Und auf diese Spannung müssen wir liebevoll hinweisen. Das ist schwer, weil es immer und immer wieder unsere Vorstellungskraft und Intelligenz total überfordert, aber so ist Gott eben. Bringt es tatsächlich etwas, wenn etwa das Mysterium der jungfräulichen und seligen Maria zu einer jüdischen Frau und Mutter mit vielen weiteren Kindern gemacht wird? Bringt eine Maria-2.0-Sicht etwas? Oder ist es nicht viel mehr Wert, den Menschen mit der unerträglichen Spannung „Jungfrau und Mutter“ zu konfrontieren? Dem Menschen zu sagen, dass man es selber auch nicht fassen kann? Weil Gott eben unbegreiflich ist? Weil Gott ein Mysterium, das größte Mysterium überhaupt ist? Was ist mit der Dreifaltigkeit, ein Gott in drei Personen? Das ist Spannung! Was ist mit dem Paradoxon der Offenbarung Gottes in Jesus und der totalen Unverständlichkeit Gottes? Wir kennen Gott und können gleichzeitig nichts über ihn sagen, ihn nur in der totalen Hingabe erfahren. Das ist eine unerträgliche Spannung! Und was ist mit Jesus Christus, der „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ und der „Fleisch angenommen [hat] durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und [...] Mensch geworden“ ist? Die Kirche muss wieder zu diesem Gottesbild stehen, die Kirche muss wieder lernen, die vielen unerträglichen Spannungen des Glaubens auszuhalten und weiterzugeben. Und wer im Glauben unsicher geworden ist und nicht weiß, welches Gottesbild er aufzeigen soll, findet beste Hilfe in unserem Katechismus der Katholischen Kirche, einem Buch, in das ich auch immer wieder gerne hinein sehe!


Gott ist ein unbegreifliches Geheimnis

Ich habe in meiner Predigt darauf hingewiesen, zu welchem Ergebnis das Stellen Gottes vor den Gerichtshof der Vernunft führen wird – ich habe behauptet, dass die Theodizeefrage in den Atheismus führt. Das sehe ich so und hier kann gerne jeder versuchen, mich von etwas anderem zu überzeugen, mir fehlen die Argumente für eine andere Sicht! Ich habe in der Predigt mehrere Sichtweisen aufgezeigt und wie eine Apologie, also eine Verteidigung von etwas dann genau das Gegenteil bewirkt. In dem vorliegenden Skript nun bin ich tiefer gegangen und habe mich unter anderem mit der Verantwortung der Kirche für das Aufwerfen der Theodizeefrage auseinandergesetzt. Und aus meiner Sicht trägt die Kirche eine sehr hohe Verantwortung, der sie nicht zureichend nachkommt. Ich bin dann in meiner Predigt auf eine Lösung eingegangen, die der einzelne Gläubige aufgreifen soll und ich habe gesagt: „Gott ist für uns Menschen vor allem eins: Ein unbegreifliches Geheimnis! Ein unbegreifliches Geheimnis, dass wir in Liebe annehmen dürfen; und das ist die Lösung für das Problem: Sich selber in der Unbegreiflichkeit Gottes zu verlieren und alles anzunehmen, was Gott erdacht hat. Genauso wie Don Camillo Jesus zitiert hat als er sagte: Herr, dein Wille geschehe, nicht der meine. Sich selber hinzugeben, um dann in der Unbegreiflichkeit Gottes frei und selig zu werden. Diese Liebe zu Gott will von uns geübt und erlernt werden, durch das Gebet zu Gott, durch Zuwendung zu Gott, durch das Gespräch mit Gott.“


Was können wir tun?

Spätestens jetzt steht die Frage im Raum, was, aus meiner Sicht, der einzelne Arbeiter im Weinberg des Herrn, was der Kirchenmitarbeiter und Kleriker, aber auch jeder andere lebende Baustein unserer heiligen Kirche, was also ein jeder tun kann und muss, um Glauben zu stärken und eine devastierende Theodizeefrage abzuwenden. Und das ist aus meiner Sicht auch recht einfach, gar nicht so viel mehr als das, was im letzten Absatz schon stand und das möchte ich nun auch hier noch ein wenig vertiefen.


Der Reichtum der Kirche

Die Kirche ist reich und diesen Reichtum sollte sie endlich nutzen. Die Kirche ist reich, denn Jesus Christus ist das Haupt der Kirche und Maria ist die Mutter der Kirche! Die Kirche ist reich, denn sie hat die Frohe Botschaft, das Evangelium. Die Kirche ist reich, denn sie kann auf zweitausend Jahre Christentum und eine gelebte Tradition zurück blicken. Die Kirche ist reich, denn sie hat unterschiedlichste Arbeiter, und jeder lebendige Stein der Kirche, ob mit Vertrag oder ohne(!) ist Arbeiter. Und diese vielen Arbeiter haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit alle das gleiche Ziel: Jesus Christus! Die Unterschiedlichkeit der Arbeiter ist ein sehr großer Reichtum, denn, wie Papst Benedikt einst sagte: „Es gibt so viele Wege zum Glauben, wie es Menschen gibt!“ Und die Kirche ist reich, denn sie hat eine(!) Lehre. Und die unterschiedlichen Arbeiter im Weinberg des Herrn haben die eine Lehre zu vertreten und zu verkünden. Unser Heiliger Vater, Papst Franziskus, hat Anfang Mai 2019 sinngemäß gesagt: „Wer eine andere Kirche haben will, soll sie sich machen – aber außerhalb der Katholischen!“ Und der Augsburger Bischof Zdarsa bekräftigt das mit einer Aussage, die auf katholisch.de die Zweitüberschrift trägt: „Wer mit der Ordnung der Kirche hadere, dem stehe es frei, die Kirche zu verlassen.“ Die Kirche muss ihren Reichtum besser nutzen und zu ihren Werten stehen, auch wenn und gerade weil das dem mainstream widerspricht. Jesus wurde auch nicht ans Kreuz geschlagen, weil er so ein lieber Kerl war.


Wie kann die Kirche ihren Reichtum nutzen?

Aber wie kann ich den Reichtum der Kirche besser nutzen? Ganz wichtig ist es, Zeugnis abzulegen vom eigenen Glauben, über den Glauben zu lernen und wieder sprechen zu können, sich mit dem Glauben auseinander zu setzen und seinen Reichtum zu entdecken. Ein sehr wertvoller Hinweis steht im ersten Petrusbrief: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“(1.Pet 3,15). Wir sollen also jederzeit bereit sein, über unseren Glauben sprechen und ihn verteidigen zu können. Und der Petrusbrief gibt im Anschluss auch gleich noch die Anweisung, wie wir über den Glauben sprechen sollen, nämlich mit Barmherzigkeit und so liebevoll, wie Jesus es selber getan hat: „und das mit Sanftmut und Ehrfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen. Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als um böser Taten willen.“ Das Zeugnisablegen vom Glauben geschieht zu selten, das muss viel öfter wieder geschehen! Und es kann in vielen kleinen Zeichen geschehen. Der Kleriker und Kirchenmitarbeiter muss dazu Vorbild sein und jeden Gläubigen anstecken und mitziehen! Ich trage übrigens gerne und immer(!) das Kreuz auf dem Revers und nur auf meinem Schlafanzugoberteil habe ich keins. Und einmal, auf meiner weltlichen Arbeitsstätte, kam ein Kollege auf mich zu, drückte seinen Finger auf mein Kreuz auf der Jacke und fragte im scharfen Ton: „Ist das jetzt unser neues Firmenlogo?“ und ich antwortete ihm: „Leider nein.“ Dieser Kollege hat meine Haltung sehr bewundert und wir arbeiten seit diesem Ereignis gut und eng zusammen, so funktioniert eben der Petrusbrief!


Zeugnis ablegen!

Zeugnis ablegen kann man aber auch anders, zum Beispiel, in dem man Texte wie diesen hier ins Netz stellt!


Das Gebet

Es ist ganz wichtig, das Gebet zu pflegen. Ich habe es in der Predigt gesagt und ich möchte seit langem eine Predigt nur über das Beten halten. Ich merke selber, wenn ich zu viel um die Ohren habe, vernachlässige ich öfter das Gebet. Dann ändert sich auch ganz schnell meine Beziehung zu Gott – bisher habe ich aber, Dank sei Gott(!), immer wieder zurück gefunden. Zu viel anderes zu tun zu haben und dafür das Gebet zu vernachlässigen ist sehr schlecht, Martin Luther soll gesagt haben: „Ich habe so viel zu tun, dass ich die ersten drei Stunden im Gebet verbringen sollte“ Und über das Beten müssen wir wieder reden und andere dazu einladen. Zwar hat Jesus gefordert: „Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler! Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden“(Mt 6,5), die Zeiten haben sich aber geändert und man wird heute komisch angesehen, wenn man betet. Genau deshalb müssen wir heute auch das Beten wieder öffentlich machen und einladen, es uns gleichzutun: Versuchen Sie es doch mal, das nächste Mal wenn Sie Essen gehen, machen Sie ein Kreuzzeichen und halten Sie ein kleines Gebet vor dem Essen, bitten Sie Gott um seinen Segen. Würden Sie sich das überhaupt noch trauen? Und vielleicht werden Sie im Restaurant sogar darauf angesprochen, dann wird es ein gutes und wertvolles Gespräch! Wer betet, stellt sich nicht neben und erst recht nicht über Gott, wer betet, klagt Gott nicht an, auch wenn er vor Gott über seine Situation klagt. Klagen und Anklagen sind nämlich zwei Paar Schuh.


Wie wird gebetet?

Was ist Beten überhaupt? Beten ist vielschichtig. Ich liebe den Rosenkranz und bete ihn jeden Morgen, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Eine Strecke ist 18,6 Kilometer, das reicht für zwei Rosenkränze und zehn Erzengelgebete. Und hätte mein Fahrrad keinen Elektromotor, würde ich länger als die 45 Minuten brauchen, die ich für einen Weg unterwegs bin, dann würde es vielleicht für drei Rosenkränze reichen... Das Gebet ist aber nicht nur das mantraartige Runterrasseln des Vorgefertigten, das Gebet ist viel mehr das Sprechen mit Gott. Ganz oben, im dritten Absatz, hatte ich von den vielen Versuchen geschrieben, von Gott etwas zu erfahren. Ich hatte geschrieben, dass Menschen erste zaghafte Fragen an Gott stellen – aber Gott antwortet nicht. Ich hatte geschrieben, dass es von ersten Fragen über einen längeren Weg zur Anklage kommt, aber Gott antwortet nicht. Wie soll Gott auch antworten, wenn der Mensch nie gelernt hat, mit ihm zu reden – und viel mehr, ihm zuzuhören und auf ihn zu hören? Es sind kleine Schritte, mit denen man das Beten lernen und üben kann. Ich empfehle bei Seelsorgegesprächen immer wieder, man solle mit Kleinem anfangen: Ich empfehle das Herzgebet, immer wieder am Tag einfach mal zu sagen: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich unser“ (oder meiner). Das ist ein erster Schritt, damit fängt man ganz klein an, Gott in das Leben zu integrieren. Der nächste Schritt könnte sein, zum Beispiel Gott jeden Abend den Tag vorzulegen und ihm zu danken, für das, was sehr schön war, ihn um Hilfe zu bitten bei dem, was schlecht gewesen ist und um Verzeihung und Unterstützung zu bitten bei dem, wo man sich selber nicht gut verhalten, wo man selber versagt hat! Und so kann man Gott Stück für Stück am Leben teilhaben lassen. Es ist eben ganz wichtig, das Gebet zu pflegen und den Kontakt zu Gott zu suchen; und Gott nach und nach als den Mittelpunkt im Leben anzunehmen. Und dann erkennt man auch den Hochmut in der Theodizeefrage und in der sinnlosen Anklage.


Pastor bonus

Das Verhalten auch des Klerikers kann Grund zur Anklage werden. Gott wird dann angeklagt „Gott, wie kannst du das zulassen“ und manchmal noch viel schlimmer „Gott, wie kannst du den zulassen“. Es steht immer die Frage im Raum: Wie gehe ich mit meinem Gegenüber um? Stelle ich mich auf gleiche Stufe oder meine und zeige ich gleich, dass ich mich als etwas besseres ansehe? Von alten Menschen bekomme ich manchmal Erzählungen zu hören vom alten Pfarrer aus ihrer Kindheit und Jugendzeit, dem Gutsherrn – und wie der sich aufgeführt hat. Von jungen Täuflingseltern habe ich aber so etwas auch schon zu hören bekommen, vom Priester, der sich bei der Trauung oder bei der Taufe des ersten Kindes wie ein Gutsherr angestellt hat. Wir sollen in Demut und Bescheidenheit leben, uns nicht über andere stellen, sondern stets der Gewissheit gewahr sein: „Gott liebt den da vor mir genauso, wie er mich liebt...“ Und dann kann ich auch zur Umkehr aufrufen und Botschaften verkünden, die heute nicht mehr gerne gehört werden wollen, aber so nötig sind. Das ist der Auftrag an uns Christen, den uns Jesus Christus selber gegeben hat!

Das waren Teile der Gedanken, die ich hatte, als ich mich für die obige Predigt entschieden hatte. Wahrscheinlich werde ich einiges davon noch in anderen Predigten verwenden können.


Eine letzte Frage

Ach ja, eine Frage hätte ich noch: Ändert sich eigentlich das Leid, wenn man weiß, warum es geschieht? Wird das Leid erträglicher, wenn man weiß, wie es zu begründen ist? Was bringt es mir eigentlich, wenn ich die Theodizeefrage stelle? Und was bringt es mir, wenn ich sie beantwortet bekomme? Was ändert sich dann für mich?


Eine Prüfung?

Die Möglichkeit einer Prüfung des Menschen durch Gott habe ich bisher nicht in den Raum geworfen und möchte es zum Abschluss noch machen: Könnte das uns umgebende Leid eine Prüfung sein? Gott, der einem jedem seiner Geschöpfe den freien Willen und die Entscheidungsfreiheit gegeben hat, könnte einen jeden also prüfen, um zu erfahren, wie Gottes Liebe von einem jeden seiner Individuen, seiner Geschöpfe beantwortet wird, so wie Jesus den Petrus dreimal fragte: „Liebst du mich?“ Aus einer solchen Prüfungsfrage und dem Wissen um die unendliche Weisheit und Allmacht Gottes heraus hat für mich der leibnizsche Satz den größtmöglichen Wahrheitsgehalt, dass es nämlich eine unendliche Anzahl möglicher Welten gibt, aber Gott nur die eine geschaffen hat, nämlich die vollkommenste und beste! Weil nur in dieser vollkommensten und besten Welt Jesus Christus eine freie und radikal ehrliche Antwort von uns Menschen, von jedem einzelnen von uns, auf seine Frage bekommen kann: „Liebst du mich?“



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