Liebe Schwestern und liebe Brüder,
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (Mt 5, 17-37)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.
Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.
Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein.
Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du gottloser Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.
Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gebe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe. Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, so lange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist. Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen, und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben, und du wirst ins Gefängnis geworfen.
Amen, das sage ich dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.
Ferner ist gesagt worden: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben.
Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.
Ihr habt gehört. dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast.
Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel für seine Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen.
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.
es ist nun schon ein paar Jahre her, da hatte sich meine Tochter mit einer Freundin verabredet. Und meine Tochter hatte sich auf dieses Treffen gefreut, sehr gefreut. Aber kurz bevor das Treffen stattfinden sollte, kam eine Absage – damals waren es noch die Eltern des anderen Kindes, die das Treffen absagten. Mit dem Argument, das ein Treffen wegen des Verhaltens des anderen Kindes erziehungstechnisch nicht förderlich sei. Meine Tochter war sehr traurig, ich erinnere mich an geflossene Tränen. Und auch uns Eltern machte das traurig, traurig und auch wütend. Traurig, weil wir hilflos mit den Tränen des eigenen Kindes konfrontiert waren und wütend, weil unsere Tochter zum Opfer von „Erziehungsmethoden“ anderer Eltern geworden war. Vielleicht ist der angegebene Grund dieser anderen Eltern noch irgendwie verständlich. Jedoch beobachte ich, dass Kinder und Erwachsene immer öfter und manchmal sehr kurzfristig Treffen absagen oder Zusagen kippen, manchmal sogar ohne Nennung von Gründen. Es scheint, als würde es an Verbindlichkeit mangeln. Dies waren meine ersten Gedanken, als ich das heutige Evangelium und vor allem den letzten Satz dieses Evangeliums las: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“
Liebe Schwestern und liebe Brüder, um Verbindlichkeit und Verantwortung geht es in dem heutigen Evangelium. Jesus sagt, dass er nicht gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzuheben. Das Gesetz bleibt bestehen, das Gesetz behält seine Gültigkeit, das Gesetz ist verbindlich! Und Jesus betont dies noch einmal ganz besonders, wenn er sagt: „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.“ Jesus nennt drei Beispiele für Gesetze und Gebote, jedes davon leitet er ein mit: „Ihr habt gehört, dass […] gesagt worden ist“. Und dann führt er auf: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen und du sollst keinen Meineid schwören. Damit spricht er das fünfte, das sechste und das achte Gebot an. Und er sagt sofort, dass das bloße Einhalten dieser verbindlichen Gebote unzureichend ist.
Sind die von Jesus angesprochenen Gebote in unserer heutigen Zeit überhaupt noch relevant? Töten wir überhaupt? Ja, liebe Schwestern und liebe Brüder, das Töten ist unauffällig und alltäglich geworden. Bei uns in Deutschland werden pro Jahr über 100.000 gezählte Abtreibungen durchgeführt, also etwa alle fünf Minuten eine. Und es gibt Schätzungen, die von einer Dunkelziffer von weit über 200.000 Abtreibungen in Deutschland ausgehen.
Und hinzu kommen ungezählte Abtreibungen durch die
„Pille danach“.
Weltweit werden pro Jahr 42 Millionen Menschen durch Abtreibung getötet, alle 0,75 Sekunden findet eine Abtreibung statt. Papst Franziskus verglich letztes Jahr Abtreibung mit Auftragsmord. 42 Millionen mal pro Jahr wird auf unserem Planeten durch Abtreibung gemordet und es scheint, als würde es keinen Menschen interessieren. Liebe Brüder und liebe Schwestern, welche Schuld lade ich da auf mich, was unternehme ich gegen Abtreibungen? Abtreibung ist beileibe kein Thema ausschließlich von schwangeren Frauen. Die an Schwangerschaftsabbrüchen mitwirkenden Männer, Ehemänner, Partner, Väter und Brüder laden durch ihren Druck psychischer und seelischer Art auf die Frauen und durch ihr Handeln bei der Durchführung der Abtreibung noch viel mehr Schuld auf sich. Und welche Schuld lade ich auf mich durch mein Wegsehen? Abtreibung lässt sich nur sinnvoll verhindern durch Hilfestellung für die betroffene Frau und das Kind. Wo helfe ich? Abtreibung ist also kein Frauenproblem.
Sterbehilfe werden die verschiedenen Euthanasierungsprogramme verschönernd genannt, die inzwischen auch Kindern und Jugendlichen in unseren Nachbarländern zuteil werden. Und was ist mit den Menschen, die wir von einer Überfahrt durch das Mittelmeer nicht abhalten und die dort ertrinken? Kümmern wir uns um die Menschen in den armen Ländern? Berühren uns die Schicksale dieser Menschen? Erreicht uns ihr Hunger, ihr Elend? Das Töten, liebe Schwestern und liebe Brüder, ist alltäglich geworden.
Und wie ist es mit dem Ehebruch heute? Als ich zu dieser Frage das Wort „Seitensprung“ in eine Suchmaschine eingab, wurden sofort über 5 Millionen Treffer aufgelistet. Dating-, Seitensprung- und Fremdgehportale überbieten sich mit ihren schlüpfrigen Angeboten und Beurteilungsseiten werben mit Sätzen wie: „Die zehn besten Seiten zum Fremdgehen, finde bei uns den Testsieger“. Der Ehebruch und die Untreue sind ein lohnendes Geschäftsmodell und inzwischen gesellschaftsfähig. Und sehr oft geht eine Familie daran kaputt. Welche Schuld lade ich hier auf mich, wenn ich unmoralisches und unverantwortliches Handeln sehe und nichts sage? Wenn ich dem Ehebruch meine schweigende Zustimmung gebe? Liebe Brüder und liebe Schwestern, wie viele alleinerziehende Mütter haben sie in ihrem Umfeld? Können sie die Anzahl dieser Personen überhaupt noch zählen?
Und jetzt kommt dieser Jesus, mahnt die Verbindlichkeit der Gebote an und sagt dann noch, dass es nicht genug ist, diese Gebote und Gesetze zu halten. Dabei wäre doch schon so viel gewonnen, wenn nicht mehr gemordet, gelogen und betrogen würde. Und dieser Jesus sagt, das reicht nicht.
Schon das erste Beispiel Jesu hat bei mir eine Gänsehaut erzeugt: Zu dem Gebot „du sollst nicht töten“ geht er noch viel weiter und sagt: „Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“. Diese Aussage erzeugt bei mir eine Gänsehaut, weil ich kein Gericht auf dieser Welt kenne, dass einen Prozess zulassen würde, nur weil einer einem anderen zürnt. Es muss sich also um ein anderes, ein göttliches Gericht handeln. Und Jesus sagt dann noch zusätzlich: „wer aber zu […][seinem Bruder] sagt: Du gottloser Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.“ Für mich ist es eine Botschaft und eine Warnung: Es ist eben nicht egal, wie wir uns verhalten, es ist eben nicht egal, wie ich mich verhalte. Mein Verhalten wird beurteilt werden. Es wird am Ende ein Gericht geben, ein Gericht, dass über mein Verhalten und über mich urteilen wird – mein individuelles Gericht. Es wäre töricht, dieses Gericht zu verleugnen oder zu verharmlosen, es wäre ein Verbrechen, auf dieses Gericht nicht hinzuweisen – ich würde mich dadurch schuldig machen. Wir werden auf dieses Gericht gleich wieder im Glaubensbekenntnis aufmerksam machen, wenn wir dort über Jesus sagen werden, dass er der ist, der „kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten“. Und für dieses Gericht reicht es nicht aus, die Gesetze und Gebote zu halten. Jesus möchte mehr von uns. Mit dem Satz „schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, so lange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist“ zeigt uns Jesus, was er von uns möchte. Es geht nicht nur darum, die Gesetze als verbindlich anzusehen und sie zu halten, sondern auch darum, verantwortungsvoll mit diesen Gesetzen und Geboten umzugehen.
Bedeutet das Schließen des Friedens mit meinem Gegner vielleicht, auf mein Recht zu verzichten?
Und ist das den schlimm wenn ich das mache, wenn ich mich zurück nehme? Wenn ich mal nicht der Nabel der Welt bin? Wenn ich das auch mal dem Anderen lasse? Wenn ich den Anderen so behandle, wie ich behandelt werden möchte? Wenn ich nicht überall meinen Vorteil suche? Das sollte ich wenigstens ernsthaft versuchen. Ist das nicht das von Jesus selber immer wieder in den Raum geworfene Gesetz der Nächsten- und sogar der Feindesliebe? Unser Handeln in Barmherzigkeit? Ist das nicht auch ein Gesetz Gottes? Ein verbindliches Gesetz?
Liebe Schwestern und liebe Brüder, natürlich schaffe ich es nicht immer, den anderen Menschen so wert zu schätzen, wie ich selber wertgeschätzt werden möchte. Ich kenne mich. Aber den Versuch, den kann ich schaffen, den kann ich immer wieder schaffen, wenn ich ihn nur wage. Dazu fordert Jesus mich heute auf. Der Jakobusbrief warnt: „Das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der nicht mit Erbarmen gehandelt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.“ – das ist meine Hoffnung und mein Ansporn.
Das Gesetz bleibt bestehen, das Gesetz behält seine Gültigkeit. Das Gesetz ist verbindlich, es ist das Gesetz Gottes! Und jeder Versuch, es anzupassen oder es im Zeitgeist neu zu interpretieren führt in einen Zustand, der die Wahrheit verleugnet, der Wahrheit nicht kennt. Verbindlichkeit ist wertvoll und erzeugt Verlässlichkeit. Aber das reicht nicht. Es ist auch noch der verantwortungsvolle Umgang mit dem Gesetz gefordert. Die Gebote sind eine Richtschnur, aber es reicht nicht, sich nur an dieser Schnur entlang zu hangeln. Die Gebote sind zu durchdenken, sie sind immer wieder zu durchdenken, auch unter Einbeziehung der eigenen und der gegenüber stehenden Person. Und dann wird ganz von selber das Ja ein Ja, und das Nein ein Nein, denn alles andere stammt vom Bösen.
Die Jeden-dritten-Sonntag-Regelung und die Leseordnung der Kirche
Jeden dritten Sonntag im Monat bin ich in der St.-Gertrudis-Kirche und in der St.-Johannes-Kirche in unserer Pfarrei in Bochum-Wattenscheid mit dem Predigtdienst an der Reihe. Das Evangelium des Tages ist vorgegeben durch die für alle römisch-katholischen Kirchen fest vorgegebene Leseordnung. Eine Auswahlmöglichkeit ist für mich, wie für alle übrigen Kleriker nur sehr eingeschränkt möglich und wenn ein Evangelium recht umfangreich ist, dann existiert manchmal eine (längere) vollständige Fassung und eine Kurzfassung, aus denen zu wählen ist. Da erlaube ich mir, grundsätzlich die Langfassung zu nehmen.
Es geht um die Gesetze und Gebote
Die Predigt soll den Gemeindemitgliedern das jeweilige Tagesevangelium erklären – oder anders ausgedrückt: „auslegen“. Das stellt einen hohen Anspruch an denjenigen dar, der die Predigt zu halten hat. Denn die Auslegung des Evangeliums soll einfach und verständlich sein, kann einen aktuellen Bezug haben und muss zugleich theologisch einwandfrei bleiben.
Ich beschreibe an einem obigem Beispiel, welche Gedanken mit den Vorbereitungen verbunden sind:
Im Evangelium des dritten Sonntags im Februar 2020, (6. Sonntags im Jahreskreis, Lesejahr A) sagt Jesus, dass er nicht gekommen sei, „um das Gesetz und die Propheten aufzuheben [...], sondern um zu erfüllen.“ und weiter sagt er: „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Es geht also um die göttlichen Gesetze und Gebote, es geht auch
um die Gebote, die Moses vom Berg Sinai (der auch „Horeb“ genannt wird) zum Volk Israel mit hinunter brachte. Also kein leichter Stoff für eine Predigt.
Doch es wird noch anspruchsvoller: Jesus benennt in dem Tagesevangelium drei der zehn Gebote: „Du sollst nicht töten“ (5. Gebot), „Du sollst nicht die Ehe brechen“ (6. Gebot) und „Du sollst kein falsche Zeugnis ablegen“ (8. Gebot, im Evangeliumstext: „Du sollst keinen Meineid schwören.“). Die Zehn Gebote sind für alle Christen die verbindliche Basis und die kleinste Schnittmenge, auf die sie sich berufen können, um miteinader handeln und leben zu können.
Ein weiterer radikaler Richtstein ist dann natürlich noch das Gebot der Gottes-, der Nächsten- und der Feindesliebe.
Hoch aktuelle Themen
In der Predigt am jenem Sonntag ging es mir darum aufzuzeigen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Geboten hochaktuell ist und dass sie oft nicht eingehalten werden. Ich zeigte das am Beispiel der Sterbehilfe und an dem der Abtreibung. Ich suchte mir die Zahlen aus meinen Unterlagen aus dem Theologiestudium am Erzbischöflichen Diakoneninstitut heraus und prüfte deren Aktualität im Internet: Weltweit gibt es jedes Jahr mindestens 42 Millionen Abtreibungen, alleine in Deutschland werden jährlich mindestens 100.000 Abtreibungen durchgeführt, im Netz finden wir hierzu Angaben
bis zum 3fachen. Natürlich ist das Thema „Abtreibung“ ein ganz heißes Thema und erfordert ein hohes Maß an Sensibilität ganz besonders für die Frauen und Mütter. Ich gebe in der Predigt (und auch sonst) kein Urteil ab, das steht mir nicht zu. Ich bin kein Richter. Die jeweiligen Schicksale sind zu unterschiedlich und erfordern in jedem einzelnen Fall ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl: Was ist mit der vergewaltigten Frau die jetzt schwanger ist? Wie kann sie dieses Kind austragen, wenn sie dadurch immer wieder mit dem Täter konfrontiert ist? Ein ganz schwieriges Thema und ich spüre meine große Hilflosigkeit.
Bei dem Gedanken zur Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung kommt in mir eine Frage auf: Kann man eine Straftat mit einer anderen Straftat wieder gut machen? Denn grundsätzlich ist eine Abtreibung per Gesetz in Deutschland verboten. Allerdings gibt es Ausnahmen, in denen sich weder der Mediziner noch die Schwangere einer juristischen Straftat schuldig machen, es gibt auch Ausnahmen, in denen sich niemand vor Gott schuldig macht. In Deutschland ist eine Strafverfolgung für eine Abtreibung ausgesetzt, und so geht manch einer irrtümlich von einer Legalität aus. Und abgesehen vom weltlichen Recht, gibt es das göttliche fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“.
Wie soll man mit Abtreibung umgehen?
Papst Franziskus hat, wie jeder von uns im Internet leicht nachprüfen kann, Abtreibung mit Auftragsmord verglichen. In der Frage der Abtreibung geht es um das Leben von Menschen. Das ungeborene Kind und die Mutter stehen an erster Stelle, nicht vergessen werden sollte, dass auch andere Personen beteiligt sind. Das ungeborene Kind ist vom Moment der befruchteten Eizelle an mehr als nur „Schwangerschaftsgewebe“, es ist ein Mensch mit Menschenwürde, es ist ein Geschöpf Gottes, wie jeder Mensch!
Verschiedene Eingangssituationen für eine Abtreibung sind vorstellbar. Beispielsweise, wenn der Mann zur Frau sagt: „Ich will das Kind nicht, lass es wegmachen.“ Mir stellt sich beim Thema Abtreibung die Frage, ob die Sexualmoral der Kirche wirklich so falsch ist, wie viele Menschen heutzutage annehmen. Äußert man sich zum Thema Abtreibung, dann ist der „shit-storm“ garantiert. Aber ist das ein Grund, dann nichts zu sagen? Denn gerade, wenn ich meinen Glauben ernst nehme und an Gott, an Jesus Christus und an ein letztes Gericht glaube, dann kann ich gar nicht anders handeln. Jesus hat uns gewarnt: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Dann kann ich nicht den Mund halten, wenn ich etwas sehe, von dem ich ausgehen muss, dass es dem Gesetz Gottes widerspricht. Dann ist es auch erforderlich, dass ich in einer Predigt Hilfe einfordere für eine schwangere Frau. Also bringe ich auch dieses heisse Eisen in der Predigt zur Sprache.
Seelenpein
Ich kann und darf ein Beispiel dazu benennen: Eine liebe Bekannte hat mir von einer Abtreibung, der Abtreibung ihres Kindes erzählt. Und obwohl diese Abtreibung über 30 Jahre her ist, ist ihre Seelenqual noch heute brennend vorhanden. Damals hat sie abgetrieben, weil sie allein gelassen wurde von ihrem damaligen Partner, von ihren Eltern und von der Gesellschaft. Sie fand niemanden, der ihr beistand... Eine junge Frau, überfordert mit einer Situation, die sie nicht überschauen konnte, die nicht wußte, wie es weitergehen sollte, darüber in Panik geriet und sich zu einer Abtreibung des ungeborenen Lebens entschloss. Ich sehe diese Frau als unschuldig an – sowohl vor weltlichem Recht als auch vor Gottes Gericht.
Die Frage der Verantwortung
Abtreibung ist ein sehr schwieriges Thema, aber ein gesellschaftliches Thema, vor dem die Gesellschaft sich drückt und besonders die schwangeren Frauen allein läßt. Der Mann, der Vater des ungeborenen Menschen, aber auch andere Männer, Freunde, Verwandte und Nachbarn stehen in der gleichen Verantwortung wie die Frau – vielleicht sogar noch mehr. Dieser Verantwortung kommen Männer oft nicht nach und noch viel öfter sehen sich noch nicht einmal in irgendeiner solchen. Also wieder ein gewichtiger Punkt für eine Predigt. An einer Schwangerschaft sind immer Mann und Frau beteiligt, an einem Schwangerschaftsabbruch, einer Abtreibung, ebenso. Der Katechismus sagt dazu in
2272 „Die formelle Mitwirkung an einer Abtreibung ist ein schweres Vergehen. Die Kirche ahndet dieses Vergehen gegen das menschliche Leben mit der Kirchenstrafe der Exkommunikation [...].“ Die „Mitwirkung“ umfasst also den Kindesvater und ebenso das bei diesem Eingriff tätige medizinische Personal. Es geht also nicht darum, der Frau eine Schuld zuzuschreiben, was aus den Worten „formelle Mitwirkung“ ersichtlich wird. Der Mann hat immer eine Mitwirkung und Verantwortung, er kann sich durch sein Verhalten durch Druck und fehlende Hilfe sehr viel mehr schuldig machen. „Formelle Mitwirkung“ ist im höchsten Maße gegeben durch den oben schon erwähnten Satz: „Schatz, ich will das Kind nicht, lass es wegmachen.“ Die Kongregation für die Glaubenslehre hat hierzu den Artikel
„Klarstellung zur vorsätzlichen Abtreibung“ veröffentlicht (ebenfalls im Internet in deutscher Sprache frei verfügbar und sehr lesenswert). Abtreibung ist also beiliebe kein Frauenproblem, es ist ein gesellschaftliches Problem was uns alle angeht. Es ist ein Problem, vor dem wir endlich aufhören müssen, wegzurennen. Diese Verknüpfungen gehören somit in eine Predigt.
Gleichwertigkeit von Mann und Frau
Ehebruch ist ein weiteres, seit Jahrhunderten hoch spannendes Thema, das Jesus im Evangelium angesprochen hat. Ehebruch in seiner Gänze ist hochaktuell. Der kleine Seitensprung, durch Angebote im Internet alltäglicher geworden als noch vor einigen Jahren, freizügig formulierte Werbung in den TV-Sendern für kommerzielle „Seitensprungportale“ und, und, und...
Dieser kleine Seitensprung, der ja „ach so harmlos“ erscheint, kann Ehen, Beziehungen und Familien zerstören. Mich ärgert nicht nur, mich erbost es sogar jedesmal, wenn ich auf Plakaten an Hauswänden in Bochum junge Frauen sehe, die für einen sogenannten „Club“, eine „Bar“ oder sonstige Einrichtung jenes Gewerbes lächelnd Werbung machen. Jedesmal wenn ich solche Plakate sehe, schießen mir die stets gleiche Fragen durch den Kopf: Wie widerlich muss es für die Frauen sein, auf so einem Plakat lächelnd diese Werbung zu machen? Wie widerlich muss es für Frauen sein, in solchen Betrieben zu arbeiten? Und wie widerlich muss es für diese jungen Frauen sein, wenn sie in solchen Anlagen arbeiten müssen, weil sie es zum Überleben brauchen, wenn sie keinen anderen Broterwerb haben? Weil sie, wie es augenscheinlich ist, der Gesellschaft egal sind?
Jedesmal wenn mich solche Plakate aufregen, frage ich mich, wie falsch und verlogen unsere Gesellschaft mit dem Thema Gleichstellung der Frau umgeht, wenn sie es zulässt, dass Frauen als Ware angeboten werden. Männer und Frauen sind unterschiedlich und absolut gleichwertig. Sie können und sollen sich wunderbar ergänzen, so hat Gott es vorgesehen: Männer und Frauen sind von Gott gleichermaßen geliebt! Auch hier ist wieder ein Punkt, wo ein Prediger einhaken kann und soll. Also tat ich dies in meiner Predigt. Ich habe in dieser Predigt die Lanze für die Frau gebrochen, dass und wie der Feminismus unserer Zeit die Männer unterdrückt, ist ein anderes Thema, das auch dringend mal betrachtet werden möchte.
Ehescheidung
Vor dem Thema Ehescheidung habe ich mich in meiner Predigt gedrückt. Dabei spricht Jesus dieses Thema explizit an: „Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.“ Wie brisant das Thema Ehescheidung ist, durfte ich nach der hl. Messe erleben, als ich nach dem Verabschieden an der Kirchentür auf ein paar Gruppen von Messbesuchern traf, die diskutierend in der Kirche standen. Eine Frau sagte zu mir: „Bei uns in meiner Gemeinde hätte es solch ein Evangelium nicht gegeben. Und die Predigt war auch fürchterlich.“ Als ich versuchte, der Frau die Leseordnung der Kirche nahe zu bringen, unterbrach sie mich mit den wiederholenden Worten: „Solch ein Evangelium hätte es bei uns nicht gegeben.“ Bevor ich weiter darauf eingehen konnte, kam die nächste Stimme aus der Gruppe: „Ich bin auch eine wiederverheiratet Geschiedene...“ und eine andere Frau merkte nur an: „Ich auch!“
Hier war es also nicht meine Predigt, hier war es das Evangelium, die Frohe Botschaft unseres Herrn Jesus Christus, die für Unmut sorgte. Die Gemüter kochten, ein sachliches Gespräch an der Stelle war nicht möglich.
Kirchliche Lehre
Die Reaktion dieser Menschen zeigte mir wiederholt ein Problem auf: Kirchliche Lehre wird heute nicht mehr akzeptiert, vielleicht auch, weil oft elementare Grundkenntnisse bei vielen Gemeindemitgliedern unbekannt sind oder die Akzeptanz zu der kirchlichen Lehre nicht gegeben ist.
Durch diese Unkenntnis oder fehlende Akzeptanz erzeugt die kirchliche Lehre bei ihnen und bei vielen anderen Menschen außerhalb unserer Gemeinden Widerwillen und Ablehnung. Fast automatisch kommt bei mir die Frage in den Kopf: Wie sollen wir mit der kirchlichen Lehre umgehen? Sollen wir jetzt alle Sätze Jesu streichen, die heutzutage für Bauchschmerzen sorgen oder sorgen könnten? Sollen wir anfangen, das Evangelium zu kürzen und die Texte ändern? Sollen wir etwa die Bergpredigt am besten kurz vor Ende der Seligpreisungen für beendet ansehen und zum Rest schweigen? (Das obige Evangelium ist übrigens ein Teil der Bergpredigt!) Oder sollen wir die Bergpredigt noch besser reduzieren auf den einzigen Satz: „Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg“. Sollen wir jetzt in allen Predigten Wert darauf legen, bloß nichts zu sagen, was irgend jemanden (oder alle) erzürnen könnte?
Müssen wir jetzt nicht sogar noch ein wenig weiter gehen und sagen: Die Lehre Jesu Christi wird heute nicht mehr akzeptiert – denn die Lehre der Kirche sollte nichts anderes sein als die Lehre Jesu Christi. Und deshalb ist die Frage zu stellen: Erzeugt die Lehre Jesu Christi bei den Menschen Widerwillen und stellt sie vor Probleme? Und spätestens jetzt sollte ich als Diakon die Menschen daran erinnern, dass es so schon zur Zeit Jesu war. Es ist jetzt so, wie es schon vor 2000 Jahren war. Denn Jesus wurde nicht ans Kreuz genagelt, weil er so ein toller und von allen geliebter Typ war sondern weil er Menschen gegen sich aufgebracht hatte. Weil er ihnen eine Botschaft brachte, die viele Menschen nicht hören wollten. Weil für manche Menschen der Preis für das Himmelreich zu groß zu sein erscheint. Denn zur Frohen Botschaft gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, der Aufruf zur Umkehr und die Auseinandersetzung mit der Umkehr.
Warum bin ich Diakon?
Ich bin Diakon der katholischen Kirche, ich bin Kleriker. Meine Aufgabe ist es unter anderem, am Tisch des Wortes zu dienen. Ich habe das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu verkünden und es auszulegen, es zu erklären. Wenn die von mir verkündete kirchliche Lehre zur kirchlichen Leere führt, dann habe ich versagt und die kirchliche Lehre, die die Lehre Jesu ist, nicht richtig zu den Menschen gebracht. Ich bin nicht Diakon, um von den Menschen geliebt zu werden. Ich bin Diakon, um den Menschen das Reich Gottes nahe zu bringen und sie denkend zu machen. Ich bin Diakon, um Seelen in den Himmel zu führen. Ich bin Diakon, um – falls nötig – unangenehmes zu sagen und für meinen Glauben und die Hoffnung, die in mir ist, einzutreten. Ich bin nicht Diakon, um Menschen zu richten, zu verachten, zu hassen oder von ihnen gehasst zu werden. Ich bin einzig und allein Diakon, um Werkzeug und Diener Gottes sein zu können! Es ist wichtig, dass ein römisch-katholischer Kleriker in einer römisch-katholischen Pfarrkirche die Glaubenslehre auf dem Fundament der römisch-katholischen Glaubenslehre unverkürzt und unverfälscht den Menschen seiner Gemeinde in klar verständlichen Worten auslegt. Also sage ich die Dinge, wie hier eben benannt, in meinen Predigten und in jedem Gespräch.
Zurueck zur vorigen Seite
oder zur Startseite
e-mail: Ulrich Franzke <diakon@franzke-bochum.de>